Sophie Scholl - unsere Namensgeberin

Sophie Scholl geb. 9. Mai 1921 in Forchtenberg - gest. 22. Febr. 1943 in München (hingerichtet) Sophie Scholl stand dem Nationalsozialismus zunächst positiv gegenüber und war Mitglied des BDM (Bund Deutscher Mädl). 1938 wurde sie zusammen mit ihrem Bruder zum ersten Mal wegen bündischer Jugendarbeit verhaftet, weil sie beide in der bündischen Jugendarbeit tätig waren. Als Studentin der Biologie und der Philosophie in München schloss sie sich der von ihrem Bruder Hans Scholl gegründeten Widerstandgruppe der Weißen Rose an. Ab Mai 1942 entwarf und verteilte die Weiße Rose ihre ersten Flugblätter, in denen sie zu einem humanistisch-ethisch und christlich begründeten Widerstand gegen den Nationalsozialismus aufrief. Während einer Flugblattaktion an der Münchner Universität wurden Sophie und Hans Scholl am 18. Februar 1943 verhaftet, am 22. Februar vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und noch am selben Tag hingerichtet.

(Stets am 22. Februar eines Jahres findet bei uns der Sophie-Scholl-Tag statt.)

Brief von Inge Aicher-Scholl

An die Schülerinnen und Schüler der Sophie-Scholl-Gesamtschule, vielleicht gibt Euch Eure Schule den Anstoß zu der Frage, was jene jungen Menschen der Weißen Rose Euch heute noch bedeuten könnten. Dabei wird es darauf ankommen, daß Ihr diese Frage richtig stellt. Fragt nicht, wie manche es in Briefen an mich tun, ob Ihr Euch in einer derartigen Situation ebenso tapfer verhalten würdet wie sie. Fragt lieber danach, was Ihr tun könnt, daß es erst gar nicht zu einem solchen Terror-Zustand kommt. Trainiert Eure Augen, Euren Kopf und Euer Herz, damit Ihr erkennt, was in der Öffentlichkeit, in der Welt heute geschieht und sich anbahnt. Es kann Euch zum Beispiel nicht gleichgültig sein, wie der Geschichtsunterricht in Eurer Schule erteilt wird. Es kann Euch ebenso wenig gleichgültig sein, was im Osten Europas oder in den Dritte-Welt-Ländern passiert, was irgendwo in der Welt an Kindern, wie Ihr es seid, geschieht. Verlaßt Euch nicht zu sehr auf hohe Werte wie Freiheit und Demokratie. Achtet gespannt darauf, wie diese Freiheit im täglichen Leben aussieht. Prüft die Demokratie an der tatsächlichen Möglichkeit, Eure Meinung zu sagen und allmählich an der Gestaltung des öffentlichen Lebens mitzuwirken. Kritische Augen und ein genaues Mitgefühl für das Recht der anderen sind zwei entscheidende Grundlagen für eine gute Entwicklung unserer heutigen Welt. Was das deutsche Volk damals Hitler in die Arme trieb, war nicht in erster Linie wirtschaftliche Not, sondern vor allem das unpolitische Verhalten der meisten Menschen in Deutschland. Es war ihre Gleichgültigkeit den öffentlichen Dingen gegenüber, die dann zu dem schrecklichen Nichtwissen darüber führte, was mit den jüdischen Nachbarn passierte. Wie tief müssen wir geschlafen haben, als in der Kristallnacht 1938 die Fensterscheiben der jüdischen Häuser und Geschäfte klirrten, als die Synagogen in Flammen aufgingen und unsere jüdischen Mitbürger in den Lagern verschwanden. Zum Verständnis einfacher politischer Zusammenhänge und zu einer frischen Wachsamkeit ist kein Schulkind zu jung oder zu dumm Denkt an das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern, wo ein Kind als erstes den Schwindel entdeckte, auf den der Kaiser mitsamt seinen Ministern und dem erwachsenen Volk hereingefallen war. In einem der Flugblätter die meinen Geschwistern und ihren Freunden das Leben kosteten, steht der Satz: "Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um euer Herz gelegt! Entscheidet euch, ehe es zu spät ist." Warum solltet Ihr einen solchen Gedanken nicht verstehen und beherzigen? Wenn Ihr also den Namen Eurer Schule nicht als irgendeine gewohnheitsmäßige Bezeichnung hinnehmen wollt, dann laßt ihn eine stete Gedächtnisstütze dafür sein, daß ihr versucht, die Dinge und Verhältnisse in der Welt zu sehen wie sie sind, und das auch deutlich auszusprechen - und dann nachzudenken, wie sie sein sollten und was Ihr selbst dafür tun könnt. Auch die kleinste, vielleicht unscheinbare Arbeit im Interesse notwendiger Veränderungen in unserer Gesellschaft ist nicht vergebens.

30. Mai 1990, Inge Aicher-Scholl